Das Konzept der Friedensbedrohung des UN-Sicherheitsrats #
Der UN-Sicherheitsrat ist das einzige Organ der Vereinten Nationen, das durch Resolutionen rechtlich verbindlich sanktionieren kann. Auf Grundlage von Kapitel VII der UN-Charta kann er auch militärische Maßnahmen beschließen. Dazu muss eine Angriffshandlung, ein Friedensbruch oder – als Minimalkriterium – eine Friedensbedrohung festgestellt werden. Während eine Angriffshandlung oder ein Friedensbruch gut zu identifizieren sind, ist eine Friedensbedrohung ein unschärferes Konzept.
Friedensbedrohung als offenes Konzept #
Bei der Auslegung einer Friedensbedrohung verfügt der UN-Sicherheitsrat über weitgehende Freiheiten. Die Literatur beschreibt es als „nebulöses“ (Cryer 1996: 161) und flexibelstes Konzept des Artikel 39 der UN-Charta ( McCoubrey & White: 128). Versuche, den Begriff genauer zu spezifizieren, wurden durch große permanenten Mitgliedsstaaten des Rats blockiert (Cryer 1996: 163).
Die Offenheit des Begriffs ermöglicht eine weite Auslegung. So ist der Sicherheitsrat in der Lage, auf Entwicklungen zu reagieren und einzugreifen, ohne dass es einer Anpassung der UN-Charta bedarf. Das Risiko besteht darin, dass es keine Kontrollinstanz für den Sicherheitsrat, beispielsweise in Form eines Gerichts, gibt. Es gab lediglich behutsame Versuche, die Jurisdiktion über Sicherheitsresolution zu erlangen.
Historische Entwicklung der Resolutionspraxis #
Die Möglichkeit zur freien Auslegung der Friedensbedrohung hat der Sicherheitsrat im Laufe der Geschichte genutzt. Mit Ende des Kalten Kriegs griff der Sicherheitsrat vermehrt ein, was sich bereits rein quantitativ zeigt.
Zahl der Resolutionen des UN-Sicherheitsrats nach Jahren #
Die Veränderung, vor allem Anfang der 1990er Jahre, beschränkt sich jedoch nicht auf den quantitativen Aspekt. Das Konzept der Friedensbedrohung entwickelte sich auch systemisch und inhaltlich weiter.
Systemische Veränderungen meint die Auslegung des Sicherheitsrats durch die Art und Weise seiner Resolutionspraxis. So gewann das Element der Prävention an Prioriät, auch regionalen Aspekten des internationalen Friedens wandte sich der Sicherheitsrat vermehrt zu. In seinen Resolutionen verband er häufiger die Ursachen und Folgen verschiedener Konflikte, die Zahl der Referenzen nahm zu. Außerdem entwickelte der Rat seit 1990 einen zweigleisigen Ansatz, der neben spezifischen Resolutionen zu Ländersituationen auch generelle Resolutionen vorsieht. (Vgl. Wellens 2003: 28-33)
Inhaltlich veränderte sich das Verständnis einer Friedensbedrohung. So kann das Verhalten zu einer Sicherheitsratsresolution zum Auslöser einer Friedensbedrohung werden, zum Beispiel durch Nichtumsetzung einer Resolution selbst eine Bedrohung sein. Als Friedensbedrohung wurden ab 1990 außerdem die Lieferung von Massenvernichtungswaffen, die unkontrollierte und/oder illegale Bewegung von Waffen, die Entnahme von Ressourcen zur Konfliktfinanzierung, Terrorismus, Menschenrechtsverletzungen, Verletzungen des Humanitären Völkerrechts und der Sturz frei gewählter Regierungen verstanden. (Vgl. Wellens 2003: 33-47)
Zusammenfassend lässt sich seit Anfang der 1990er Jahre sowohl quantitativ als auch qualitativ eine deutlich ausgeweitete Erkennung von Friedensbedrohungen nach Artikel 39 der UN-Charta feststellen